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Ein Interview mit Nicola Schmidt

Ich war vor einer Weile bei einem Workshop von Nicola Schmidt hier in Oldenburg – das Thema war: Weniger Stress im Alltag mit Kindern – Tipps und Tricks für den „ganz normalen Wahnsinn“

Ich habe ihr Geschwisterbuch gelesen und auch das Artgerecht Baby und Kleinkinderbuch und finde ihren Ansatz wirklich gut, daher war ich neugierig, als der Verlag mich anschrieb, ob ich mit ihr ein Interview führen möchte. Mein erstes persönliches Interview, das war ganz schön ungewohnt, aber irgendwie auch nett. Nach dem Interview und dem Workshop bin ich auf jeden Fall gespannt auf ihr neues Buch – Erziehen ohne Schimpfen. Ein Thema was mir wirklich schwer fällt und worauf ich nicht besonders stolz bin.

Liebe Nicola, ich freue mich sehr, dass du dir kurz die Zeit nimmst.

Im Internet, vor allem bei Instagram kommt man um das Thema bedürfnisorientierte Elternschaft kaum noch drum rum. Die Folge, es entsteht ein enormer Druck bei uns Eltern. Gerade wenn ein Tag mal nicht so gut gelaufen ist, weil es eben im Alltag oft schwierig ist alle Bedürfnisse der Kinder sofort zu erfüllen oder man eben gerade dabei war das Bedürfnis des Kleinsten zu erfüllen und somit einer der Großen eben nicht die Aufmerksamkeit bekommen konnte, wie er sie vielleicht gebraucht hätte und die Situation unzufrieden Parteien hervorbringt. Oder eben, wenn einem einfach nur alles zu viel geworden ist und man dann auch mal laut wird. Uns als Eltern wird die Angst gemacht, dass wir am Ende eine schlechte Beziehung zu unserem Kind haben, wenn wir nicht ständig bedürfnisorientiert handeln. Ist bedürfnisorientierte Beziehung der richtige Weg? Überfordern wir Eltern uns nicht selbst mit diesem hohen Anspruch immer allem sofort gerecht zu werden?

Bedürfnisorientiert heißt nicht, ich erfülle alle Bedürfnisse meines Kindes/meiner Kinder, sondern es bedeutet ich nehme sie wahr und wir verhandeln über Bedürfnisse. Und es wird nicht gesagt: Jetzt stell dich nicht so an! Ist doch alles nicht so schlimm! Da muss er durch! Sondern besser: Schatz, es geht gerade nicht anders. Ich weiß, dass du es brauchst, aber ich kann gerade nicht!

Wenn ich Bedürfnisorientierte Erziehung machen will, ohne Grenzen zu setzen, dann brenne ich aus. Unsere Gesellschaft hat Probleme bei dem Thema zu unterscheiden, ob es sich um einen Säugling, der wirklich in den ersten 12 Monaten aufgrund seines schnellen Gehirnwachstums bedürfnisorientiert ist, oder um einen 3 Jährigem handelt. Wenn das Kind 1,5 ist, sollte man mit den Sozialen Regeln und der Frustrationstoleranz-Lehre anfangen. Wenn ich also bei einem 3 Jährigen immer noch versuche alle Wünsche zu erfüllen kriege ich ein total unzufriedenes, stressiges Kind, was dies will, was das will. Das habe ich mir aber selbst herangezogen, das liegt weder am Konzept, noch an den Kindern. 

Wir Eltern, wenn wir dann Grenzen setzen, herrschen die Kinder oft an. Grenzen, setzen wir gleich mit: Jetzt reicht mir aber! Mütter sind sehr lange, sehr nachgiebig und plötzlich reicht es ihnen. Das ist falsch. Der Trick ist, dass ich emphatisch Grenzen setze. Ich weiß, dass du jetzt noch ein Stück Kuchen haben willst und ich verstehe es auch, aber es gibt jetzt keinen Kuchen mehr. Ich weiß, dass du jetzt nicht ins Auto steigen möchtest, aber wir müssen los und deswegen, setze ich dich jetzt ins Auto.

Ein großes Problem aus meiner Sicht ist also, dass die Leute nicht unterscheiden können, wie lange Bedürfnisorientiert und was heißt es, wenn ich in einem Familiensystem lebe, wo ich nicht mehr mit einem Säugling unter 12 Monaten zusammen bin. Da wird leider nicht richtig differenziert in den Medien.

Ein Artgerechter Betreuungsschlüssel wären 3 Erwachsene, 1 Kind – ein räumt auf, einer kümmert sich ums Kind und einer ruht sich aus. Das gibt es heute kaum noch, dennoch wäre das eine Lösung. Er ist das wofür wir Menschen gemacht sind. Das Problem ist nur, dass wir sozialisiert sind in einer Gesellschaft, die uns sagt – je individueller du bist, desto glücklicher bist du! – Daher muss man sich dafür bewusst entscheiden. Wenn man eine Gemeinschaft will, dann muss man etwas investieren und auch ein stückweit von seiner Individualität abgeben. Vielleicht leben die anderen nicht vegan oder die Wohnung ist nicht mega stylisch. Das ist dann so. Man muss Geben und dann kann man Nehmen. Wenn man also Gemeinschaft möchte, dann muss man auf die Leute zu gehen und seine Hilfe anbieten.

Unsere Eltern haben viel aus dem Bauch herausgemacht, dennoch wird ihre Art zu erziehen heute immer schlecht gemacht. Haben unsere Eltern/die Generation unserer Eltern, denn wirklich so viel falsch gemacht? Wir sind doch nicht alle psychisch labil und haben auch nicht alle ein furchtbar schlechtes Verhältnis zu unseren eigenen Eltern, oder doch?

Man kann es so Pauschal nicht sagen, aber wenn man schaut, wie viele Leute Schlafmittel nehmen, wie viele Stimmungsaufheller, wie viel Depressionen und wieviele unentdeckte depressive Verstimmungen wir in unserer Generation haben. Dann Ja! Denn unsere Eltern, die Generation unserer Eltern ist teilweise von schwerst traumatisierten Kriegskindern großgezogen worden und das geben sie jetzt über mehrere Generationen weiter. Da wurde eben viel geschimpft und früher sogar auch noch viel bestraft. Das ist nicht gut für eine gute Beziehung zu seinem Kind.

Wie definierst du schimpfen?

Schimpfen ist immer dann, wenn ich eine Unmutsäußerung bringe, die meine Kinder in Stress versetzen. Also sie in Angst oder Verzweiflung versetze  – wie zum Beispiel mit Drohungen, wie „Wenn, dann!“ oder Schreien.

Jetzt noch zwei persönliche Fragen: Mutter sein und Selbstständig arbeiten ist eine Herausforderung – wie organisierst du dich?

Ich hatte schon immer familiennahe Betreuung für die Kinder, entweder die Oma oder eine Babysitterin im Haus. Und ich arbeite viel Nachts. Also ich gehe früh mit den Kindern ins Bett und stehe gegen 4:00 Uhr wieder auf. Und ich arbeite ohne Pause, wie Kaffee trinken & Co. Ich arbeite nonstop und lass mich nicht ablenken. Fokussiertes Arbeiten ist meins. Wenn die Kinder da sind habe ich dann auch nur Zeit für meine Kinder. 

Was machst du, wenn du mal Zeit für dich hast?

Schlafen – Immer! Oder ich meditiere. Laufen ist ebenfalls ein wichtiger Ausgleich.

Liebe Nicola, vielen Dank für das spannende Interview und die vielen Anstöße zum Nachdenken – auch aus dem Workshop konnte ich einiges mitnehmen.

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